Gabriel Boric war eines der Gesichter der Studentenproteste 2011. 2019 trug der linksgerichtete Politiker aus Punta Arenas wesentlich zur Befriedung der sozialen Revolte bei und öffnete
die Türen zu einer neuen Verfassung. Mit 35 Jahren ist Boric nun der frisch gewählte Präsident von Chile.
Es war 2011, als hunderttausende junger Schüler*innen und Student*innen durch die Straßen der großen Städte Chiles zogen, um ihren Unmut über das Bildungssystem zum Ausdruck zu bringen. Vor allem privatisierte Strukturen, horrende Studiengebühren und ungerechte Aufnahmebedingungen brachten die jungen Menschen in Aufruhr. Es war die bis dahin größte Protestbewegung seit der Rückkehr zur Demokratie – und Gabriel Boric einer ihrer Anführer.
Seitdem prägt der studierte Rechtswissenschaftler aus Punta Arenas den politischen Diskurs des Landes. Boric wurde 2013 als unabhängiger Kandidat in das Parlament gewählt. 2016 gründete er mit Gleichgesinnten die linkspolitische Bewegung Frente Amplio. Er gilt als einer der entscheidenden Akteure, die nach den sozialen Revolten 2019 konstruktiv zwischen der rechtsgerichteten Regierung von Sebastián Piñera und den wütenden Protestierenden vermittelte und eine Befriedung herbeiführte. So wirkte Gabriel Boric an einem der Meilensteine der chilenischen Geschichte mit und öffnete die Türen zu einer neuen Verfassung.
Nun ist Gabriel Boric der neue Präsident von Chile. Mit 35 Jahren erfüllt er genau das Mindestalter, um in Chile das Präsidentenamt auszuüben. Doch nicht nur in dieser Hinsicht verkörpert Boric einen Neuanfang, sondern vielmehr in Anbetracht seiner Haltung. Gerechter, dezentraler und nachhaltiger möchte er das Land gestalten und von neoliberalen Prinzipien abkehren. Es soll ein völlig neues Kapitel aufgeschlagen werden mit einer frischen Regierung, die sich an Prinzipien der neuen Verfassung orientiert, welche aktuell parallel ausgearbeitet wird.
Kritiker*innen fragen, ob Boric Gewalt verharmlost, ob er eine solide Grundlage für seine politischen Vorhaben bereitstellen kann und ob er realitätsfern agiert. Andere zweifeln an seiner Standhaftigkeit und Prinzipientreue. Gewiss wird es Boric und seine Regierung schwer haben. Konservative und wirtschaftsnahe Instanzen mögen mit ihrem starken Einfluss Entscheidungen blockieren. Und auf der anderen Seite erscheint es schier unmöglich, in kurzer Zeit die Vielzahl an Forderungen zu erfüllen. Bessere Löhne und höhere Renten, kürzere Wartezeiten für medizinische Behandlungen und der Schutz vor Kriminalität, mehr Autonomie für indigene Gruppen und eine Lösung der angespannten Migrationslage sind nur einige der Herausforderungen, die Boric nun zu konfrontieren hat. Vielleicht wird er den Erwartungen nicht gerecht werden können. Doch die Aufbruchstimmung ist spürbar. Und Boric repräsentiert mit seiner Biografie und seinen politischen Positionen wie kaum ein anderer den breiten Wunsch der chilenischen Gesellschaft nach einer Neuaufstellung.