Deutscher Kuchen und die deutsche Feuerwehr, deutsche Schulen und deutsche Militärsymbolik finden sich in Chile gleichermaßen. Die Geschichte der deutschen Einwanderung in Chile ist
vielschichtig – und das deutsche Erbe beachtlich wie bitter.
Deutsche Spuren in Chile
Deutsches Bier und deutscher Kuchen verdient sich landesweite Anerkennung. „Made in Germany“ ist in Chile ein bestechendes Kaufargument. Supermärkte, Hafenbetreiber und andere große Unternehmen sind in deutscher Hand. Deutsche Architektur schmückt Stadtzentren in Südchile. Betuchte Familien schicken ihre Kinder in die angesehenen deutschen Schulen und lassen sich in deutschen Kliniken operieren. Hohe Politiker*innen tragen deutsche Nachnamen. Und die deutsche Feuerwehr löscht die regelmäßigen Brände auf den Hügeln von Valparaíso. Kurzum: Die deutsche Kultur ist in Chile omnipräsent.
Chiles Deutsche in Zahlen
In Anlehnung an den Zensus von 2019 leben in Chile knapp 10.000 Menschen, die in Deutschland geboren sind. Laut Goethe-Institut haben gar um die 500.000 Personen deutsche Wurzeln. Ihre Vorfahren waren Freiheitssuchende, Händler, Forscher und Verfolgte, auch aber diktatorisch geprägte Parteikader, Militante und Faschisten.
Etappen deutscher Einwanderung
Die deutsche Einwanderung in Chile erfolgte im Wesentlichen in sechs Phasen: Im Zuge der spanischen Kolonialisierung landeten die ersten Deutschen ab 1541 im Andenstaat. Anfang und Mitte des 19. Jahrhunderts begannen sich deutsche Kaufleute in Chile anzusiedeln. Mit dem Scheitern der Deutschen Revolution 1848/49 brachen wiederum etliche deutsche Familien auf und suchten ihr Glück in der fremden Heimat und menschenleeren Umgebung Südchiles. Ihnen folgten Jahrzehnte später deutsche Juden und politische Flüchtlinge vor und während des Zweiten Weltkrieges. Als der Krieg endete, zog es ihre Peiniger, die Nazis, in das südamerikanische Exil. Und schließlich erwartete Chile eine weitere Welle der Einwanderung aus Deutschland ab 1990 mit dem Ende der Diktatur unter Pinochet und der Rückkehr der Exilchilenen samt ihrer hinzugewonnenen deutschen Familienangehörigen.
Deutsche als Werkzeug chilenischer Territorialpolitik
Der chilenische Staat stand der deutschen Migration stets sehr aufgeschlossen gegenüber. Vor allem ab 1845 versuchte die chilenische Regierung ganz gezielt die deutsche Einwanderung in die südlichen Regionen des Landes zu fördern. Man erhoffte sich industrielle wie unternehmerische Impulse. Und man bestrebte zugleich die Zurückdrängung der lokalen, indigenen Bewohner, die mehr Autonomie forderten. Beide Ziele gingen zu großen Teilen auf. Und der Konflikt mit der Ursprungsbevölkerung schwelt bis heute.
Das furchtbare Vermächtnis der Deutschen in Chile
Mit ihrem Ideenreichtum, ihren Erfahrungswerten und ihrem Einsatz bereicherten die deutschen Einwanderer gewiss die chilenische Wirtschaft und Kultur. Ebenso trugen sie aber auch zu furchtbaren Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei. So befindet sich bei Parral der Schauplatz eines der ganz düsteren Kapitel deutscher Migration. Anfang der 1960er Jahre gründete hier der Einwanderer Paul Schäfer die totalitäre Sektengemeinschaft Colonia Dignidad. Die Mitglieder wurden ihrer Freiheit beraubt, wurden Opfer von Zwangsarbeit und Missbrauch. Und sie wurden oft auch selbst zu Tätern und Täterinnen. Während der chilenischen Militärdiktatur diente die Anlage als Folterstätte. Trotz lückenhafter juristischer Aufarbeitung gehört die Sekte mittlerweile der Vergangenheit an und auf dem Gelände wird deutschfolkloristischer Tourismus betrieben.
Der Spiegel deutscher Geschichte
Alles in allem wirkt die Zusammensetzung der deutschen Migranten in Chile wie ein Spiegelbild der deutschen Geschichte. Der Missbrauch ungezügelter Freiheiten, der Drang nach Macht und die mörderische Lust am Herrschen sind ein Teil des Erbes deutscher Migrant*innen in Chile. Der Erfindergeist und Tatendrang, die hoffnungsvolle Suche nach Schutz und das Streben nach individuellem Glück der Deutschen sind ein weiteres.
Informationen zu Rundreisen mit dem Fokus auf die Geschichte und Kultur von Chile können Sie über unser Kontaktformular erfragen.